Hamburg.  Sein Auftritt beginnt mit einem Schaulaufen. Vor zwölf Jahren ist Werner Marnette als Vorstandsvorsitzender der Aurubis AG ausgeschieden. Doch als er die Hauptversammlung seines ehemaligen Unternehmens in die Wilhelmsburger edel-optics.de Arena aufsucht, schlägt ihm vor allem von dem Gros der Kleinaktionäre viel Sympathie entgegen. 30 Jahre lang war er bei der „Affi“, wie das Unternehmen damals noch liebevoll genannt wurde, davon 13 Jahre als Chef. Jetzt ist er Kleinaktionär und vertritt rund 40.000 Stimmen von Anlegern. Bewundernde Blicke von der Seite, Händeschütteln, ein Schwätzchen hier, eines da – Marnette betritt die Halle, setzt sich in die erste Reihe der Aktionäre und wartet auf seinen Auftritt. Zweieinhalb Stunden muss er warten, dann wird ihm das Wort erteilt. Kurz schaut Marnette noch in die Menge, so als wolle er sich vergewissern, dass ihm alle zuhören. Dabei ist ihm, spätestens seit seine Gegenanträge zur Hauptversammlung bekannt wurden, die ungeteilte Aufmerksamkeit gewiss. Marnette befürchtet, dass der Aurubis-Großaktionär, der Stahlkonzern Salzgitter AG, die Hamburge  Kupferhütte übernehmen will – zu ihrem Schaden. „Es steht zu befürchten, dass sich die Salzgitter AG Aurubis einverleiben will, um das stagnierende Stahlgeschäft auszugleichen“, sagt er. „Unserem Unternehmen droht großer Schaden, der durch die Salzgitter AG verursacht und vom Aufsichtsrat toleriert wird.“ Er werde einer Entlastung des Aufsichtsrats der Aurubis AG nicht zustimmen, solange das Kontrollgremium nicht seine Unabhängigkeit erklärt und die wahren Absichten der Salzgitter AG bekannt gibt. Marnettes Sorge kommt nicht von ungefähr, und wird bei der Aussprache auch von anderen Aktionärsvertretern geäußert. Die Salzgitter AG hält infolge eines Zukaufs im vergangenen Herbst über ihr Tochterunternehmen Mannesmann mehr als 25 Prozent an Aurubis. Laut Marnette seien es „de facto“ 27 Prozent. „Bis 30 Prozent fehlt nicht mehr viel. Und dann muss Salzgitter ein Übernahmeangebot machen“, sagt Marnette – und er weiß, worüber er redet. Schon einige Jahre zuvor war der Stahlproduzent mit 25 Prozent an der Kupferhütte beteiligt, doch durch die Rückzahlung einer Umtauschanleihe war diese Beteiligung im Jahr 2017 auf 16 Prozent gesunken. Jetzt hält der Konzern wieder mehr als 25 Prozent an den Hamburgern und verfügt damit über eine Sperrminorität. Zudem hat der Chef der Salzgitter AG, Heinz Jörg Fuhrmann, der im Aurubis-Aufsichtsrat sowie in allen Ausschüssen des Kontrollgremiums sitzt, bereits angekündigt, dass er sich eine Aufstockung der Beteiligung vorstellen könne. Die Salzgitter AG betrachte ihren Anteil an Aurubis nicht länger als Finanzinvestment, sondern als strategische Investition. Bereits im Jahr 2015 hatte Fuhrmann öffentlich gesagt, dass auch eine Fusion mit Aurubis langfristig ein Ziel sein könnte. Für Marnette sind das alles Anzeichen für eine Übernahme. „Für die Salzgitter AG könnte eine solche Übernahme Sinn machen, aber für unser Unternehmen wäre es eine große Gefahr, da es dann seine Investitionsentscheidungen nicht mehr selber treffen könnte“, sagt Marnette, der sich inzwischen in Rage geredet hat. Aurubis hat in den vergangenen Jahren so gut gewirtschaftet, dass das Unternehmen über insgesamt eine halbe Milliarde Euro an Liquidität verfügt. Was würde damit geschehen, wenn Salzgitter das Sagen hätte? Vor allem die häufigen Vorstandswechsel sieht Marnette kritisch. Denn Aurubis-Vorstandschef Jürgen Schachler, den Marnette sehr lobt, gibt Ende Juni nach nur drei Jahren sein Amt wieder auf. Nachfolger wird Roland Harings, der kürzlich den Verkauf der MKM Mansfelder Kupfer und Messing GmbH an die niedersächsische KME-Gruppe durchführte. „Wollte Herr Fuhrmann etwa, dass der Vertrag von Jürgen Schachler ausläuft? Wer hat das im Aufsichtsrat zu verantworten“?, fragt Marnette. Es sei der fünfte Wechsel an der Aurubis-Spitze in acht Jahren. „Wollen wir hier HSV-Verhältnisse?“, ruft er in den Saal. Angesichts dessen dass das Kupfergeschäft viel Erfahrung und Beständigkeit in den Geschäftsbeziehungen verlange seien diese häufigen Wechsel „eine Katastrophe“ und „fast kriminell“. Er werde auch nicht mehr vor rechtlichen Schritten zurückschrecken, sagt Marnette, der sich endgültig in Rage geredet hat. Er erhält viel Applaus von den Rängen. Der Aufsichtsrat unter dem Vorsitz des ehemaligen Hamburger Umweltsenators und späteren Energiemanagers Fritz Vahrenholt reagiert mit versteinerten Mienen – und mit einer Retourkutsche: Als Marnette nämlich seinen Vortrag abkürzen will und sagt, dass er der Versammlungsleitung einen umfassenden Fragenkatalog zu den Vorkommnissen zugeleitet habe, den er „detailliert“ beantwortet haben möchte, fällt ihm Vahrenholt ins Wort: „Fragen, die nicht auf der Hauptversammlung gestellt werden, werden auch nicht beantwortet“, sagt er lapidar. „Schiebung“ tönt es aus dem Saal. Marnette schaut verunsichert: „Soll ich jetzt wirklich 80 Fragen vorlesen?“ Vahrenholt bleibt hart. Also fängt der Ex-Manager an. Aber das wollen die meisten Aktionäre nicht mehr hören. Vor der Halle warten Schnittchen.

Erst viel später, als sich die Stimmung im Saal wieder beruhigt hat, ergreift der Salzgitter-Chef und Aurubis-Aufsichtsrat Fuhrmann als Aktionär das Wort. Er wirft Marnette vor, Unwahrheiten zu verbreiten und sagt, dass es keine Beschlüsse zur Übernahme der Kupferhütte gebe.

Die wichtigen Aussagen des scheidenden Aurubis-Chefs Schachler sind da längst vergessen. Nämlich, dass Aurubis im laufenden Geschäftsjahr ein moderat unter dem Vorjahr liegendes operatives Ergebnis zwischen 280 und 312 Millionen Euro erwartet.

Die Dividende für das abgelaufene Geschäftsjahr 2017/18 wird um sieben Prozent auf 1,55 Euro pro Aktie erhöht. Vor allem einem dürfte das besonders freuen: Die Salzgitter AG streicht damit eine Dividende von mehr als 17 Millionen Euro ein.

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